Natürlich geht Klugmann unter die
eiskalte Schockdusche, bevor er sich ins Wasser stürzt und ein halbe Stunde auf
dem Rücken durchs Becken pflügt wie ein Manta. Kein verweichlichter Lauduscher
wie ich, der dicht am Beckenrand dahin dümpelt. Nach der halben Stunde
Kampfschwimmen geht Klugmann wieder unter die Schockdusche. Dann noch einmal
quer durchs Becken, hinten raus und dann unter die warme Dusche. Mit Einseifen,
Abspülen und dann 5 (in Worten: FÜNF) Minuten eiskalt ausduschen bis die
Brusthaare horizontal abstehen. Dann eincremen, dann rauf auf die Balustrade
und eine halbe Stunde Yoga mit allen Verrenkungen, die man sich nur denken
kann. Er trägt immer noch eine Dreiecksbadehose, während ich schon vor 15
Jahren notgedrungen zu schottisch Halblang gewechselt bin.
Habe ich schon erwähnt, dass Klugmann
65 ist, - aber braun gebrannt. Griechenland und Solarium. Und schlank wie ein
Zwanzigjähriger? Kein Wunder! Nach dem Yoga und einem kleinen Plausch mit mir
auf der Ruhebank, fährt er ZWEIMAL mit dem Fahrrad um die Außenalster. Nach dem
spartanischen Mittagessen, eigentlich nur eine Vorspeise, fährt er in die
Öffentliche Bücherei und liest all die dicken Zeitungen wie DIE ZEIT,
SÜDDEUTSCHE, FRANKFURTER ALLGEMEINE und Co. Ich kann auch da nicht mithalten.
Nur eine Boulevard-Zeitung wegen des Sports: Schweinssteiger, Poldi, van de Vart
und Veronika sind die Personen, um die meine täglichen Sorgen kreisen.
Wenn also Klugmann nach dem Yoga zu
mir auf die Ruhebank kommt, bricht täglich eine harte viertel Stunde für mich
an, denn jetzt belehrt er mich mit seiner gestrigen mehrstündigen Lektüre der
erwähnten Zeitungen. Häufig kann ich nur resigniert nicken, weil mir das Grundwissen
zu den Themen fehlt. Wie soll ich es denn zum Beispiel wissen, was es mit der
von Ray Kurzweil für 2019 prognostizierten Singularität auf sich hat, wenn ich
über den Sportteil nie hinauskomme?
Neulich waren die Erinnerungen von
Helmut Schmidt dran. Ja, genau der! Unser Helmut Schmidt. Sein Gespräch mit
Leonard Bernstein. Und Klugmann sagt, dass unser Helmut Schmidt schreibt, dass
Leonard Bernstein in diesem Gespräch gesagt hat, dass Schopenhauer Recht hat,
weil der behauptet, dass man sich selbst vergessen und sich dem Göttlichen auf
drei Arten nähern könne: Tiefe, religiöse Meditation, Musik und Orgasmus mit
einem geliebten Menschen. Klugmann bestätigt alle drei Fälle durch eigenes
Erleben: Meditation in Griechenland am einsamen Strand, plötzlich ein
Wasserfall aus Feuer vor dem inneren Auge. Musik sowieso. Gleichzeitiger Orgasmus
mit den geliebten PARTNERINNEN: „Ich weiß ja nicht, ob du das schon erlebt
hast?“ blickt mich Klugmann mitleidig an.
Ich überlege für einen Augenblick,
ob ich es mit dem Orgasmus von Schopenhauer aufnehmen will. Aber dann hätte ich
immer noch Klugmann gegen mich, Leonhard Bernstein, - und wer weiß, was Helmut
Schmidt noch auf der Pfanne hat? Und man wird ja schließlich auch nicht jünger.
Ich versuch es auf andere Weise:
„Schopenhauer und Orgasmus. Er war doch nicht unbedingt ein Frauenfreund. Er
hat doch das was von dem kurzbeinigen Geschlecht gesagt, das nur ein vom
Geschlechtstrieb umnebelter männlicher Verstand, das Schöne nennen könnte!“
„Aus der Erinnerung!“ mahnt mich Klugmann zur Sachlichkeit.
„Aber wenn er, ich meine, früher, - dann redet man doch nicht später so über Frauen, die einem den Zugang zum
Absoluten ermöglicht haben?“
Klugmann leitet übergangslos zur Meditation weiter. Seine und Schopenhauers tiefe, religiöse Meditation in
Griechenland.
„Aber kann man nach solch einer
Meditation denn noch so knurrig wie Schopenhauer aussehen?“
Und dann noch die Musik.
„Na, klar! Mit Schopenhauer die
Hitparade rauf und runter!“
Also, noch mal: Meditation, Musik
und Orgasmus.
Frage: Wo hat Schopenhauer das bloß
alles gelesen?